Solares Bauen kam im architektonischen Diskurs der Schweiz lange Zeit so gut wie nicht vor. Den meisten Büros, die sich national und international profilierten, lag das Thema fern; viele betrachteten die Auseinandersetzung mit Solartechnologie als wenig prestigeträchtiges Betätigungsfeld für Be- rufskollegen, die ihre ästhetischen Ansprüche längst ad acta gelegt hatten.
Selbstverständlich gibt es Gegenbeispiele, die beweisen, dass hohe architektonische Qualität und die Produktion erneuerbarer Energien sich nicht ausschliessen müssen. Einzelne Architekturschaffende nutzen die neuen Technologien als Inspiration und Bereicherung des zeitgenössischen Formen- vokabulars. Doch solche Projekte blieben lang Ausnahmen. Die gebaute Realität vermittelt meist ein anderes Bild: wuchtige PV-Elemente, die ohne Rücksicht auf Kontext, Form, Farbe oder Proportion an Gebäude montiert werden.
Dies liegt nicht nur am fehlenden Ehrgeiz der Baufachleute. Problematisch ist auch, dass der Gesetzgeber ästhetische Kriterien im Zusammenhang mit Solartechnologie auf ein absolutes Minimum reduziert: Gemäss Artikel 18 a des Eidgenössischen Raumplanungsgesetzes bedürfen «genügend angepasste Solaranlagen» auf Dächern in Bau- und Landwirtschaftszonen im Allgemeinen keiner Baubewilligung. Lediglich Solaranlagen auf Kultur- und Naturdenkmälern von kantonaler oder nationaler Bedeutung sind bewilligungspflichtig. Dieser Grundsatz ist bemerkenswert, weil er einer Bankrotterklärung gleichkommt: Anstatt die Vereinbarung von ökologischer und ästhetischer Qualität ein- zufordern, beschränkt sich das Gesetz auf ein resigniertes «genügend». Und so – nämlich «genügend» – sieht der Grossteil der gebauten Realität aus; manchmal auch schlimmer. Dies trug bisher wenig dazu bei, ambitionierte Architektinnen und Architekten für das solare Bauen zu gewinnen. Doch in jüngster Zeit zeichnet sich eine Wende ab.
Zum Beispiel an der ETH Zürich: Das solare Bauen, das ein jahrzehntelanges Mauerblümchendasein gefristet hatte, rückte 2017 abrupt in den Vorder- grund, als Studierende die Aufgabe erhielten, gehobene Wohneinheiten mit in die Gebäudehülle integrierter Solartechnologie zu entwerfen. Ausgerechnet ein Exponent, der als eher konservativ geltenden analogen Architektur war es, der seine Studierenden damit herausforderte. Auf den ersten Blick vielleicht unerwartet – doch im Grunde war dieser Schritt überfällig: Die Verbindung zwischen Entwurf, Konstruktion und Ausführung ist in der Schweizer Architekturausbildung seit jeher sehr eng, die Architekturschaffenden haben eine hohe Affinität für konstruktive Fragen, innovative Details und handwerkliche Qualität.
Auch in der Praxis lässt sich ein wachsendes Interesse für die konstruktiven Möglichkeiten mit Photovoltaik beobachten. Das solare Bauen reizt vermehrt auch Architekturbüros, die über eine solide konstruktive Kompetenz verfügen, sich aber weder mit gebauten Öko-Manifesten noch mit einer didaktischen Techno-Ästhetik hervortun möchten. So ist zu hoffen, dass die Energieproduktion sich allmählich als eine unter den vielen Aufgaben etabliert, die eine Fassade oder ein Dach zu erfüllen hat – und die je nach Situation unterschiedlich zu gewichten sind.
Dass die Industrie heute eine grössere Vielfalt an Produkten anbietet, kommt als günstiger Umstand hinzu. Die Farbenpalette der Photovoltaik- elemente umfasst mittlerweile unterschiedlichste Töne und Oberflächen- strukturen, die Formate und Kombinationsmöglichkeiten sind flexibler geworden. Der Preis dafür ist eine etwas geringere Effizienz, doch der ästhetische Mehrwert ist in Bezug auf die Baukultur – und dank besserer Akzeptanz auch aus ökologischer Sicht – sehr zu begrüssen. Für den baukulturellen Gewinn, der entstehen kann, wenn begabte Entwer- ferinnen und Entwerfer sich von neuen Technologien beflügeln lassen, gibt es in der Architekturgeschichte viele Beispiele. Insbesondere in der Neu- zeit hat die Baukunst materialtechnische und konstruktive Innovationen freudig aufgegriffen. So ermöglichten die Verfügbarkeit von Stahl und die Erfindung des Lifts den Bau von ersten Hochhäusern; die industrielle Produktion von Floatglas war eine Voraus- setzung für die Vorhangfassaden der 1960er-Jahre; Alison und Peter Smithson nutzten die Wucht des Stahlbetons für ihre brutalistischen Bauten, Le Cor- busier dessen Plastizität für seine Kapelle in Ronchamp; Marcel Breuer und Charlotte Perriand experimentierten mit verchromten Stahlrohren, Willy Guhl mit Faserzement; Frank O. Gehry realisierte die dekonstruktivistischen Formen des Guggenheim Museum Bilbao mit einer ursprünglich für die Raumfahrtindustrie entwickelten Software.
Werden die neuen solaren Technologien und Produkte nun zu einer spezifi- schen architektonischen Formensprache führen? Bisher ist kein eigener Stil erkennbar. Im Gegenteil: Die wachsende Vielfalt an Farben, Oberflächen, Formaten und Anwendungsmöglichkeiten macht es immer einfacher, die neuen technischen Möglichkeiten in den Formenkanon unterschiedlichster Architekturbüros zu integrieren. Der Umgang mit der Solartechnologie sickert endlich ins architektonische Repertoire ein.